Tokyo – Höhen und schlimme Tiefen

Konichiwa, liebe Freunde und Familie,

Tokyo wird auf unserer gesamten Reise die Stadt mit der teuersten Unterkunft sein. Wir hatten uns in Laos noch über die 30 € beschwert, aber hier haben wir 110 € pro Nacht bezahlt. Tokyo ist wirklich verdammt teuer! Und bietet im Vergleich zu China keinen Luxus, was das Zimmer angeht.

Unser Zimmer war okay, aber hätte auch besser sein können. Aber wir wollten ja eigentlich auch nicht so viel Zeit hier verbringen, sondern die Stadt besichtigen. Von allen Zielstädten in Japan hatten wir uns auf Tokyo am meisten gefreut. Die Stadt ist so riesig und bietet einfach unglaublich viel – das kann man sich nicht vorstellen. Hier gibt es nicht nur ein Stadtzentrum, sondern sehr, sehr viele. Jeder Stadtteil hat sein eigenes Zentrum, und alles sieht immer etwas anders aus als das andere. Irgendwie faszinierend.

In unserem Hotel wartet bereits Yuri auf uns. Wie ich nun schon ein paar Mal erwähnt habe, ist sie eine Freundin meiner Mutter. Die beiden lernten sich 1993 auf einer Sprachreise in England kennen und haben seitdem den Kontakt nicht verloren. 1994 war Yuri zur Hochzeit meiner Eltern eingeladen. 2002 besuchte sie uns in Stuttgart, und zuletzt sah ich sie, denke ich, 2015.
Als Flugbegleiterin ist Yuri viel unterwegs und betreut für die Fluggesellschaft JAL die erste Klasse und kann daher auch sehr gut Englisch sprechen. Wenn sie mal nach Frankfurt fliegt, versucht meine Mama, es einzurichten, ebenfalls nach Frankfurt zu fahren, damit sie sich sehen können.

Als meine Schwester vor 10 Jahren Japan besuchte, traf auch sie sich hier mit Yuri und unternahm sehr viel mit ihr und hat es sehr genossen. Auch für uns hatte Yuri sich bereits ein kleines Programm überlegt, und wir waren sehr gespannt!

Vom Hotel aus zeigte Yuri uns das Stadtviertel, in dem auch sie wohnt. Ningyocho ist stark geprägt von der Edo-Periode, und das kann man an einigen Ecken auch noch gut sehen. Sie führte uns durch die Straßen und erklärte uns so vieles, dass ich kaum alles in mich aufnehmen konnte.

Kurzer Geschichtsexkurs: 
Die Edo-Zeit (1603–1868) war eine der prägendsten Epochen Japans. Unter Tokugawa Ieyasu erlebte das Land Stabilität, wirtschaftliches Wachstum und eine blühende Kultur. Kunstformen wie Kabuki, Ukiyo-e (Holzschnittkunst) und Bunraku (Puppentheater) entstanden und prägen Japan bis heute.

Ein Ort, an dem der Geist dieser Zeit spürbar bleibt, ist Ningyocho in Tokio. Der Name bedeutet „Puppenviertel“ und verweist auf die einstige Heimat von Puppenspielern, Kunsthandwerkern und Kabuki-Darstellern. Noch heute bewahrt das Viertel seinen historischen Charme mit traditionsreichen Geschäften, die handgefertigte Waren wie Fächer, Kimonos und Süßigkeiten verkaufen.

Am Ende saßen wir zusammen in einem Sushiladen, wo sie für uns alles Mögliche bestellte. Ich probierte mich tapfer durch die verschiedenen Fisch-Nigiris, für Sascha war das leider eher nichts. Er mag ja leider Fisch eher nicht, also hielt er sich an die Gurken-Sushi, während ich Aal, Flunder und Tintenfisch probierte. Es war alles recht lecker, aber auch für mich ist es nun nicht unbedingt meine Leibspeise.
Von hier aus ging es dann zu Yuris Lieblings-Teeladen, wo man Eis aus japanischem Tee essen kann. Sascha und ich teilten uns eines, während Yuri uns weiter durch die Gegend zum nächsten Schrein führte.

Dieser ist vor allem bei jungen Paaren sehr beliebt. Hier kommt man her und betet für eine kinderreiche, gesunde Ehe. Yuri ließ es sich nicht nehmen, mit mir genau dort zu beten und mir dabei auch zu erklären, worauf es beim Beten in Schreinen ankommt. Wir sind gespannt, was das Beten für Sascha und mich bereithält. 😋

Von Ningyocho ging es dann in den Stadtteil Ginza. Ginza ist unter anderem ein Luxusviertel und auch für seine vielen Uhrenläden bekannt. Hier reiht sich Omega an Rolex, an IWC Schaffhausen, hin zu Glashütte und natürlich zu Seiko. Seiko zählt zu Saschas Lieblingsuhrenmarken, und hier gibt es DEN großen Flagshipstore sowie ein kostenloses Museum zur Historie der Uhr.

Wir nahmen uns vor, die Uhren nochmals in Ruhe alleine anzuschauen. Mit Yuri ging es erstmal zum Kaiserpalast von Tokyo, wo ich dann erstmal erfuhr, dass Japan noch immer eine lebende Kaiserfamilie hat. Wusste ich gar nicht. Irgendwie war ich von Vietnam und China so geprägt, dass ich dachte, sie wären in den ganzen Ländern hier alle abgesetzt worden. Ist nicht der Fall, der lebt noch, aber es ist eher so wie in England – eine konstitutionelle Monarchie. Also eher repräsentativ und nicht mehr für das Geschick des Landes zuständig.

Noch ein kleiner Geschichtsexkurs:
Der derzeitige Tennō, Kaiser Naruhito, bestieg am 1. Mai 2019 den Thron als Nachfolger seines Vaters, Kaiser Akihito, der als erster Kaiser der modernen Geschichte abdankte. Obwohl der Kaiser einst die höchste Macht im Land hatte, wurde seine politische Autorität nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Verfassung von 1947 abgeschafft. Heute ist der Tennō vor allem ein Symbol des Staates und der Einheit des Volkes.

Seine Aufgaben sind hauptsächlich zeremonieller Natur. Er eröffnet das Parlament, nimmt an diplomatischen Treffen mit Staatsoberhäuptern teil und spielt eine zentrale Rolle in religiösen und kulturellen Zeremonien, insbesondere in der Shintō-Tradition. Zudem engagiert sich der Kaiser in wohltätigen Projekten und unterstützt Katastrophenopfer sowie soziale Initiativen.

Die japanische Kaiserfamilie gilt als die älteste ununterbrochene Monarchie der Welt, mit einer über 2.600-jährigen Geschichte.

Wir genossen das gute Wetter, das sich uns hier präsentierte. Schon auf der Zugfahrt hatten wir das Glück, auf der richtigen Zugseite zu sitzen und einen Blick auf den wohl bekanntesten Berg Japans zu werfen, den Mount Fuji. Vollkommen klar, ohne eine Wolke am Himmel, konnten wir ihn dort sehen. Yuri hatte vor, diesen am nächsten Tag mit uns zu besuchen.

Am frühen Nachmittag verabschiedeten wir uns dann von Yuri und freuten uns schon auf den nächsten Tag. Sie und ihr Mann würden sich für den Tag extra ein Auto ausleihen, um mit uns in die Nähe von Mount Fuji zu fahren. Wir waren sehr gespannt. Wir suchten am Abend noch einen kleinen Laden auf, wo wir eine Reis-Bowl essen konnten, und fielen dann schon ins Bett. Am nächsten Tag mussten wir bereits um 6 Uhr aufstehen, Yuri und ihr Mann wollten uns gegen 7 Uhr abholen.

Wir waren schon sehr gespannt, aber der Wetterbericht am nächsten Morgen ließ unsere Stimmung ein bisschen sinken: grau, bewölkt, eventuell Regen. Aber Yuri meinte, sie sei im Freundeskreis als Wetterfee bekannt – wenn sie auftaucht, gibt es gutes Wetter.

Also versuchten wir darauf zu vertrauen.
Mit ihrem Mann zusammen fuhren wir nach Oshino Hakkai, der Ort, der für seine 8 Seen bekannt ist, in denen sich der Fuji bei gutem Wetter wunderschön spiegeln kann. Aber das Wetter wollte nicht mitmachen, es war immer noch grau, obwohl wir 2 Stunden im Auto gesessen hatten. Aber Yuri gab die Hoffnung nicht auf und zeigte uns die verschiedenen kleinen Seen. Das war vor langer Zeit mal ein großer See gewesen, aber durch die Ausbrüche des Fuji waren Steinbrocken heruntergekommen, die die Landschaft verändert haben und so 8 kleine Seen und Tümpel erschaffen haben, um die sich mittlerweile ein ganzes Dorf erhoben hat.

Und plötzlich brach über uns der Himmel auf und zeigte sich im klaren Blau. Aber eben nur über uns, nicht beim Fuji – dieser blieb grau und verborgen hinter einer Wolkenwand. Irgendwann setzte dann leichtes Schneetreiben ein, und dann stellte auch Yuri fest, dass es wohl nichts mehr werden würde. Für ein Foto und einen selbstgemalten Mount Fuji auf dem Bild reichte es dann noch. 😉


Dennoch, wir alle waren ein kleines bisschen enttäuscht, als wir wieder ins Auto stiegen und uns auf den Weg zu einem Restaurant machten, das in dieser Gegend für sein „Hoto“ bekannt ist: lange, dicke Nudeln in scharfer Suppe mit Gemüse, präsentiert im kochenden Tontopf.

Sascha und Yuri bestellten genau das, ich probierte hier nochmals Soba-Nudeln in der kalten Variante, genauso wie Yuris Mann auch.
Ich beneidete Sascha schnell um sein Essen, schmeckte es doch deutlich intensiver als meines und war zudem wunderbar warm – was bei dem ganzen Schneetreiben wirklich eine Wohltat gewesen wäre.

Von hier aus ging es dann wieder zurück Richtung Tokyo. Wir stiegen in Ginza aus, während Yuri und ihr Mann nach Hause fuhren. Sascha und ich besuchten nun die ganzen Uhrenläden, die wir am Vortag gesehen hatten. Sascha probierte eine sehr, sehr teure Seiko-Uhr an und blickte sie verliebt an. Die „Snowflake“ ist zwar wunderschön, und die Technik darin ist patentiert von Seiko, was viel zu dieser Einzigartigkeit der Uhren beiträgt – Aber leisten will man sie sich dann doch nicht. Es war trotzdem schön, sie mal am Handgelenk tragen zu können auch wenn sie einen ticken zu groß war.

Von hier aus ging es noch ein bisschen durch die Stadt. Nachdem meine Bauchtasche ihren Reißverschluss verloren hatte und sich nicht mehr richtig öffnen und schließen ließ, wollte ich hier nach einer neuen schauen. Sascha setzte sich im Laden auf einen Hocker, und als ich wenig später zu ihm zurückkam, hatte er einen leichten Schweißfilm auf der Stirn. Wir machten uns direkt auf den Weg zurück ins Hotel, Sascha wurde von Minute zu Minute schlechter und kämpfte mit Übelkeit.

Keine 20 Minuten, nachdem wir im Hotel angekommen waren, ging es bei ihm los mit einer üblen Magen-Darm-Geschichte. Das zog sich bis tief in die Nacht, um 2 Uhr, und raubte uns beiden den Schlaf. Selbst mich hatte es bisher noch nicht so schlimm erwischt, bei den beiden malen in Indien und Laos.

Eigentlich waren wir für den nächsten Tag mit Risako und Haruka verabredet gewesen, aber das sagte ich noch am Abend ab. Ich wollte Sascha nicht alleine im Zimmer lassen, solange es ihm zu schlecht ging, und wir brauchten dringend den Schlaf, den wir die Nacht verloren hatten.

Wir verschliefen beide das Frühstück. Ich hatte am Abend vorher noch beim 7-Eleven Bananen und Toastbrot gekauft (und ein Cola, auch wenn wir alle wissen, dass es nicht helfen soll).
Sascha kämpfte den ganzen Tag mit Schwindel und Erschöpfungssymptomen. Essen konnte er kaum zu sich nehmen, weil ihm sofort wieder davon schlecht wurde, aber immerhin behielt er es in sich. Mit unserer Reiseapotheke versuchten wir, den Symptomen entgegenzuwirken, und warteten einfach. Am Nachmittag war ich dann so weit, dass ich das Zimmer verlassen konnte und für ca. 1-2 Stunden durch Tokyo lief. Aber schnell stellte ich fest, dass es alleine keinen Spaß machte, also ging ich zurück ins Hotel.

Am nächsten Tag ging es Sascha noch nicht wirklich besser. Er wollte kaum etwas essen oder trinken, war komplett erschöpft und ausgetrocknet, und ich versuchte wirklich alles, an ihn hinzubekommen, damit sich die Symptome irgendwie verbessern würden.

Wir probierten es, einen Ausflug nach Shibuya zu machen, aber sehr schnell wurde Sascha hier bereits wieder von Erschöpfungssymptomen überfallen. Und jetzt kommt wieder das Thema auf, das ich in Kanazawa bereits angesprochen habe: Es gibt keine öffentlichen Sitzplätze!! Normalerweise stört es einen wohl kaum, weil man diese nicht unbedingt braucht, wenn es einem gut geht. Aber zwischenzeitlich saß Sascha einfach an einer Hauswand gelehnt auf dem Boden, weil wir nichts fanden, wo man sich hinsetzen konnte. In ein Restaurant konnten wir nicht, weil ihm vom Geruch schlecht wurde, und schließlich fuhr er wieder zurück zum Hotel. Das machte so keinen Sinn. Ich blieb allein in Shibuya. Irgendwie versuchte ich, das gute Wetter noch mitzunehmen, denn heute schien wieder die Sonne.

Während Sascha also im Hotel lag und schlief, setzte ich mich auf eine Dachterrasse von einem sehr teuren Restaurant und bestellte mir ein Getränk. Locker zwei Stunden saß ich da oben, ein Heizpilz neben mir, und tippte am Handy den Beitrag zu Osaka. Irgendwie wollte ich nicht allein durch die Stadt laufen, und hier war ich immerhin an der frischen Luft und mir war warm. Besser als nichts.

Am Ende brachte ich noch die geschriebenen Postkarten zur Post und schickte sie los, bevor ich ein Ramen-Restaurant allein aufsuchte und mir über einen Computer das Essen bestellte, ohne menschlichen Kontakt zu haben. Und hier merkte ich zum ersten Mal, wie einsam man in einer Millionenstadt sein kann.

Es können noch so viele Menschen um dich herum sein, aber es gibt keine öffentlichen Plätze, wo man sich entspannt zusammen treffen kann. In Restaurants sind Sitzplätze mit Milchglasscheiben voneinander abgetrennt, damit man seinen Nebensitzer nicht sieht. In kleinen Restaurantketten gibt es keine Tische für mehrere Personen, sondern nur an der Theke die Barhocker, wo man nebeneinander sitzt.

Ich kam mir richtig einsam vor und beobachtete zum ersten Mal aktiv die Leute um mich herum. Viele waren hier allein, niemand schien seine Mittagspause mit Kollegen zu verbringen, alle hatten Kopfhörer im Ohr und starrten beim Essen nebenher ins Handy. Man hat ja nicht mal Kontakt mit einem Menschen, wenn man das Essen bestellt, sondern macht das alles außerhalb vom Laden an einem Bildschirm. Dann bekommt man einen Zettel, gibt diesen an der Theke ab und wartet auf das Essen. Mit der Bedienung wechselt man nicht mehr Worte als „Hallo“ und „Danke“, und dann geht man wieder.

Und es mag hart klingen, aber hier in diesem Laden wurde mir irgendwie klar, wieso man in Depressionen verfällt und in Vereinsamung versinkt. Es ist hart, alleine zu sein, aber die Gesellschaft ist auch nicht dafür gemacht, offen zu sein. Japaner sind unglaublich höflich und zuvorkommend, aber nicht herzlich. Nicht so wie die Menschen in Vietnam, Laos oder China. Man ist hier nicht neugierig aufeinander, sondern sehr reserviert. Die Gesellschaft ist wenig auf soziale Unterstützung geprägt.

Ich las mir nebenher am Handy eine Studie dazu durch und lernte dabei wirklich einiges über die Gesellschaft in diesem Land. Wie sehr hier Ausländer mit subtiler Ausgrenzung zu kämpfen haben – in Japan ist es nicht gerne gesehen, außerhalb der Ethnie zu heiraten und noch einiges mehr was ich nicht alles aufführen möchte. Japan hat auch seine Schattenseiten, was bestimmt auch ein Teil der sehr konservativen Einstellung in diesem Land ist.

Ich kam mir jedenfalls sehr allein vor und wurde ganz schön traurig, bevor ich auch meine Sachen packte und zurück zum Hotel zu Sascha ging. Ich hatte keine Lust mehr, alleine weiter durch die Straßen zu laufen und es dabei nicht mit Sascha teilen zu können.

Am nächsten Tag waren Sascha und ich eigentlich mit Yuri verabredet, nachdem sie beim Sushi-Essen festgestellt hatte, wie schlecht unsere Stäbchen-Skills sind. Sie hatte eine Freundin gefragt, ob sie uns Unterricht geben könnte. Aber Sascha ging es nicht wirklich besser, also stellte ich nur neue Bananen und Fruchtsaft bereit, bevor ich mich mit Yuri in der Lobby traf und wir uns mit ihrer Freundin Asano und deren Tochter Mihako im Frühstücksraum trafen. Asano war früher Flugbegleiterin, wie Yuri, aber mittlerweile ist sie Lehrerin für richtiges Stäbchenessen.

Sie löste meine Sorgen darüber, dass ich so schlecht bin, sehr schnell in Luft auf. Sie macht diese Kurse, weil selbst viele Japaner das korrekte Stäbchenessen nicht können. Sogar in TV-Serien können die Schauspieler die Stäbchen nicht richtig halten, geschweige denn kennen sie die richtige Etikette.

Und das lernte ich dann erstmal alles von Asano. Yuri merkte dabei auch, dass sie ihre Stäbchen ebenfalls nicht richtig hält. Mein Handgelenk tat ziemlich schnell bei den Übungen weh, weil meine Finger diese neue Haltung gar nicht gewöhnt sind. Asano gab mir den Rat, das Halten und Bewegen der Stäbchen am besten in der Badewanne zu üben, weil der Körper dort am entspanntesten ist. Wie doof, dass wir keine Badewanne zu Hause haben – werde ich nun also niemals gut darin werden?

Naja, egal, es macht trotzdem richtig Spaß zusammen, und Asano war sehr geduldig mit mir und konnte unheimlich viel erzählen. Es gibt so viele Dinge, die man beim Essen beachten muss, wie man Suppenschalen hält, dabei die Stäbchen elegant und korrekt bewegt. Kleine Feinheiten, auf die ich vorher nie Rücksicht genommen hatte, aber die mir jetzt wohl lange in Erinnerung bleiben werden.

Yuri und ich verabredeten uns für den Abend, sie wollte für Sascha und mich kochen. Aber mir war beinahe schon klar, dass Sascha in seiner Verfassung nicht mitkommen könnte. Aber ich versuchte es positiv zu halten und versprach Yuri, am Nachmittag zu schreiben, ob es mit ihm klappt, ansonsten würde ich alleine kommen.

Sascha und ich versuchten dann mittags, einen Ausflug nach Akihabara zu machen, dem Stadtteil, der bekannt für seine Mangas und Animes ist. Aber auch hier wurde ihm sehr schnell wieder schwindelig.
Ich suchte also ein kleines Café auf, um einen Kaffee zu bestellen, sodass Sascha sich hinsetzen konnte.
Nachdem ich gezahlt hatte und wir warteten, bis ich den Kaffee zum Tisch nehmen konnte, wurden wir sehr bestimmt darauf hingewiesen, dass Sascha nicht hier sitzen dürfe, solange er nichts kauft. Ich bekam meinen Kaffee To-Go und wir suchten draußen verzweifelt nach einer Bank, bis wir uns dann irgendwann einfach auf Treppenstufen setzten.

Tja, da kam dann nach zehn Minuten ein Polizist und bat uns höflich, aber bestimmt, dass wir hier nicht sitzen dürften. Ich versuchte zu erklären, dass es Sascha gerade nicht gut gehe und wir uns nur kurz ausruhen und dann gleich wieder gehen würden, aber dafür reichte das Englisch des Polizisten nicht aus. Er wedelte nur mit der Hand, wir sollten die Treppen hoch. Also half ich Sascha hoch und wir stiegen die Stufen empor. Saschas Laune war komplett im Eimer und ich kann das ja nachvollziehen. Ihm geht es so beschissen und er versucht, das Beste noch irgendwie rauszuholen. Er will ja auch nicht die ganze Zeit nur im Hotel sitzen, aber er kann sich nirgendwo ausruhen und mal kurz erholen, um dann weiterzugehen.

Für ihn hatte sich zu diesem Zeitpunkt, denke ich, der gesamte Japan-Urlaub erledigt. Er war komplett frustriert – von sich selbst, dem Wetter, dem Umgang der Menschen hier, dem Gesamtpaket, wie es für uns bis hierher gelaufen war. Wir machten uns zurück auf den Weg zum Hotel. Er wollte nur noch ins Bett, schlafen und sich erholen. Auf seine Aussage, dass ich ruhig zu Yuri könnte, lief ich die 15 Minuten zu ihrer Wohnung und traf mich dann dort noch mit ihr.

Auch sie machte sich mittlerweile ziemliche Sorgen um Sascha, aber wir wollten noch abwarten und keinen Arzt aufsuchen. Manchmal braucht der Körper einfach etwas Zeit, um sich von einer Erkrankung wieder zu erholen.

Yuri und ich versuchten uns dann trotzdem einen schönen Abend zu machen. Sie kramte das Album mit den Bildern von der Hochzeit meiner Eltern hervor, was wirklich urwitzig war, meine ganze Verwandtschaft auf den Bildern zu sehen – genau in dem gleichen Alter wie ich nun bin. Ich fand es einfach wundervoll und machte viele Fotos davon, die ich sofort an die ganze Verwandtschaft schickte. Zudem zeigte sie mir ein Bild von sich selbst und mir aus dem Jahr 2002, das sie mit der Polaroid-Kamera von uns beiden gemacht hatte 🥰

Danach beschloss sie, dass sich der Aufwand für nur zwei Personen nicht lohnen würde zu kochen, und führte mich zu ihrem neuen Lieblingsrestaurant, das Tempura anbietet. Ich ließ mich darauf ein, auch wenn der Großteil des Essens aus Fisch bestand. Außerdem packte sie ihre Polaroid-Kamera aus und machte neue Erinnerungsfotos für ihr Fotoalbum und auch für mich.

Danach ging sie mit mir noch zur Apotheke und kaufte für Sascha Medikamente, die sein Immunsystem wieder auf Vordermann bringen sollten. Ich bedankte mich herzlich. Wirklich, Yuri hat vor allem für mich hier sehr viel ermöglicht und mir einen schönen Abschluss in Tokyo bereitet. Für mich ist der Aufenthalt dadurch nicht ganz so negativ wie für Sascha, aber das lässt sich auch nicht vergleichen.

An unserem letzten Tag in Tokyo schliefen wir aus und machten uns dann irgendwann auf den Weg nach Asakusa. Wir hatten dort vor zwei Wochen eine japanische Teezeremonie gebucht, mit Kimono-Erfahrung.
Die Energiebooster-Getränke, die Yuri in der Apotheke gekauft hatte, zeigten ein wenig Wirkung, und Sascha hielt eigentlich ganz gut durch, während wir durch Asakusa liefen. Natürlich fing es auch hier wieder an zu regnen, und wir flüchteten uns in Unterführungen, bis wir zur Teezeremonie konnten.

Dort lernten wir viel über die ursprüngliche Tradition des Teetrinkens und was das alles mit Zen zu tun hat.

Meine neu gelernte Teekunst Meinung:
Die japanische Teekunst, ist mehr als nur das Trinken von Tee – sie verkörpert Achtsamkeit, Ruhe und Harmonie. Jeder Schritt, von der Zubereitung bis zum Servieren, folgt festen Ritualen und symbolisiert Reinheit und Respekt.

Besonders interessant ist die Gestaltung des Teeraums mit Tatami-Matten. In der Edo-Zeit wurden diese bewusst so angeordnet, dass die Fugen nicht in geraden Linien verliefen – eine Vorsichtsmaßnahme gegen potenzielle Angreifer, wie zum Beispiel Ninjas, die sich darunter verstecken könnten. Auch die niedrige Eingangstür eines Teehauses zwingt Gäste dazu, sich zu verbeugen, was als Zeichen der Demut gilt.

Zen spielt eine zentrale Rolle in der Teezeremonie und basiert auf vier Prinzipien: Wa (Harmonie), Kei (Respekt), Sei (Reinheit) und Jaku (Stille). Diese Werte spiegeln sich in jeder Bewegung wider – vom Reinigen der Teeschale bis hin zum achtsamen Trinken des Tees in drei Schlucken. Die Zeremonie bietet damit nicht nur eine meditative Erfahrung, sondern auch eine Verbindung zur jahrhundertealten japanischen Philosophie und Ästhetik.

Mit den Kimonos war es nur ein bisschen unbequem, haha, aber trotzdem eine sehr coole Erfahrung, seinen eigenen hochwertigen Matcha zuzubereiten. Jedoch ging es Sascha danach wieder richtig schlecht, und wir beeilten uns, zurück ins Hotel zu kommen.

Dann hieß es nur noch, Rucksäcke packen und schlafen gehen. Unser Flug nach Taiwan startete am nächsten Tag um 12 Uhr vom Narita Airport, der knapp 1:40 h von Tokyo entfernt liegt. Also früh raus aus den Federn und hoffen, dass Sascha alles gut überstehen würde.

Hier endet damit unser Japan-Aufenthalt. Ich glaube, wir haben hier echt sehr viele negative Faktoren wahrgenommen in unseren 2,5 Wochen. Aber wir haben davor auch schon so viele andere Eindrücke aus anderen Ländern gesammelt, dass wir vielleicht auch andere Erwartungen an das Land hatten und zum Großteil schon übersättigt waren. Für einen normalen Urlaub von etwa 2-3 Wochen, ohne dass man davor so lange wie wir unterwegs war, ist es bestimmt eine ganz andere Wahrnehmung. Wahrscheinlich genießt man da auch mehr die Ruhe die das Land ausstrahlt. Wenn wir Japan als eines unserer ersten Reiseziele wahrgenommen hätten wäre mit Sicherheit vieles anders gewesen und wir hätten eine positivere Meinung bilden können.

Aber wir haben Japan nicht komplett abgeschrieben. Wir wollen dem Land noch eine Chance geben, vielleicht in einigen Jahren – vielleicht dann auch eher im Sommer, mit besserem Wetter. Für uns landet das Land mit seinen ganzen Eindrücken nun vorerst auf dem letzten Platz unserer bereisten Länder, andere haben uns da schlichtweg mehr vom Hocker gehauen.

Wir hoffen, dass wir das irgendwann anders sehen werden oder hier neue Erinnerungen schaffen können.
Wir melden uns hiermit aus Japan ab und freuen uns nun darauf, euch aus Taiwan berichten zu können!

Liebe Grüße und hey, bis ganz bald!
Jessi und Sascha