Siem Reap – Es heißt nicht Angkor Wo sondern Angkor Wat

Liebe Freunde und Familie,

wenn man nach Kambodscha reist, dann wohl hauptsächlich wegen Angkor. Immerhin ist es DAS Highlight des Landes schlechthin. Wir trafen auf unserer Reise nicht gerade wenige Leute, die ausschließlich in die Stadt Siem Reap reisen, nur um Angkor zu besuchen, und anschließend wieder abreisen. Was in unseren Augen eigentlich schade ist, da das Land an sich mehr zu bieten hat als nur dieses historische Khmer-Königreich.

Für uns ging es von Phnom Penh in 6 Stunden mit dem Bus nach Siem Reap, der Stadt, die direkt vor Angkor liegt. Unser Hotel war ausgesprochen schön, bot einen Wäscheservice, den wir gleich nutzten, sowie eine hauseigene Khmer-Massage, die viel auf die Dehnung der Gliedmaßen setzt. Für mich war es eine sehr angenehme Erfahrung (Sascha empfand sie eher als „solala“). Ich finde es auch recht interessant, wie sich von Land zu Land die Techniken der Massagen unterscheiden. 😊

Vorab hatte Sascha bereits über Empfehlungen einen TukTuk-Fahrer für Angkor gefunden. Diesen buchten wir für zwei Tage, da die gesamte Fläche der Angkor-Anlage 40.000 Hektar umfasst und zu Fuß nicht zu bereisen ist. Wir hatten zunächst überlegt, ob es sich lohnen würde, die Strecke mit dem Fahrrad zurückzulegen. Aber wenn man bedenkt, wie weitreichend die Anlage ist und wie weit die Tempel teilweise auseinanderliegen, war ich ganz froh, die Tour mit dem TukTuk zu machen. 😀 Am ersten Tag legten wir damit knapp 20 km zurück, am zweiten Tag stabile 35 km. Ich als untrainierte Fahrradfahrerin wäre bei den Temperaturen über 30° und der prallen Sonne, die auf uns herunterbrannte, wahrscheinlich vom Fahrrad gekippt.

Am 3. Januar wurden Sascha und ich von Mr. Kun um 4:45 Uhr morgens abgeholt, denn wir hatten eine Sonnenaufgangs-Tour für den ersten Tag gebucht. Falls jemand von euch mal nach Angkor reist: Informiert euch am besten vorher über das Wetter an dem Morgen…

Wir erreichten den Tempel Angkor Wat gegen 5:10 Uhr und saßen in der ersten Reihe, als die Sonne um 6:50 Uhr aufging. Um uns herum waren knapp 300 Menschen, die mit uns auf den Sonnenaufgang hinfieberten – der einfach … grauenhaft langweilig war. Holy Shit. Dafür hatte es sich wirklich nicht gelohnt, so früh aufzustehen. Der Himmel war am frühen Morgen so bewölkt, dass es einfach nur von dunkel zu grau wurde. Unspektakulärer geht es, glaube ich, nicht mehr. Sascha und ich waren schwer enttäuscht, heißt es doch, der Sonnenaufgang über Angkor Wat sei sehr beeindruckend.

Auf einem Video, das Sascha machte, fragte ich mich kurzzeitig, ob er einen Schwarzweiß-Filter genutzt hatte, weil keinerlei Farben erkennbar waren. 😀

Es dauerte etwa eine Stunde, bis uns die Begeisterung und Faszination für die Tempelanlage wieder ergriff. Von den bis zu 1000 verschiedenen kleinen Tempeln und Heiligtümern, die sich in Angkor befinden, ist Angkor Wat der am besten erhaltene der etwa 70 großen Tempel. Die fünf bekannten Türme ragen hoch über die Mauern und bieten ein fantastisches Bild, das man nicht so leicht vergisst. Wenn man davorsteht, fühlt man sich selbst ganz schön klein.

Sascha hatte sich im Vorfeld intensiv mit der Geschichte rund um Angkor beschäftigt und klärte mich während unseres Rundgangs durch die Anlage immer wieder auf. So erfuhr ich, dass die Tempel zwischen 900 und 1500 nach Christus erbaut wurden und insbesondere Angkor Wat die Weltanschauung der alten Khmer widerspiegelt.

Die gesamte Tempelanlage von Angkor Wat ist von einem rechteckigen Wassergraben umgeben, der sie vollständig einschließt. Die Khmer glaubten damals, ihr Königreich sei der Mittelpunkt der Welt, und das Meer markiere die Grenzen der Welt. Diese Vorstellung spiegelt sich auch in der Bauweise von Angkor Wat wider: Die Tempelanlage wurde nicht nur als religiöse Stätte, sondern auch als symbolischer Mikrokosmos des Universums errichtet. Der zentrale Tempelberg repräsentiert den mythischen Berg Meru – den Mittelpunkt der Welt und Sitz der Götter – während der Wassergraben das Weltmeer symbolisiert, das die Erde umgibt.

Als wir mit dem TukTuk um den Wassergraben fuhren, fiel uns auf, dass man von keinem Punkt außerhalb des Grabens Angkor Wat sehen konnte. Dichter, grüner Dschungel und hohe Bäume verbergen die Tempel vollständig, sodass man von außen kaum etwas von der Anlage erahnen kann. Umso beeindruckender ist es, sich vorzustellen, dass hier damals über eine Million Menschen auf einer Fläche von 40.000 Hektar gelebt haben! Angkor war zu seiner Blütezeit die wahrscheinlich größte Stadt der Welt. (Als Vergleich: London hatte zu dieser Zeit keine 40.000 Einwohner)

Mr. Kun empfing uns jedes Mal am TukTuk mit einem breiten Lächeln und viel Gewinke, was uns immer wieder ein Lachen ins Gesicht zauberte. Dieser Mensch war einfach herzensgut. Er hielt uns stets im Blick und erzählte uns stolz, dass er ein großer Bayern-München-Fan sei. Auch den VfB Stuttgart kannte er – seiner Aussage nach, weil dieser in der vergangenen Saison Vizemeister wurde. Mr. Kun erzählte uns, dass sein großer Traum sei, eines Tages nach Deutschland zu reisen, um ein Fußballspiel live zu erleben. Dafür, so sagte er, müsse er allerdings noch viele Male TukTuk-Touren rund um Angkor machen.

Obwohl er nicht fließend Englisch sprach, konnten wir uns gut mit ihm verständigen, und er erklärte uns so viel er konnte über die Tempelanlage. Am ersten Tag erkundeten wir den „Inner Circle“, wo sich die großen und bekannten Highlights der Angkor-Anlage befinden. Dazu gehörte auch der berühmte „Tomb Raider“-Tempel, den man vielleicht aus dem gleichnamigen Lara-Croft-Film aus den 2000ern kennt. Hier überwuchern riesige Bäume mit ihren Wurzeln die Tempel, und die Vegetation holt sich nach und nach die bebauten Flächen zurück. Mithilfe schwerer Stahlträger werden die Tempel jedoch gestützt und für die Touristen intakt gehalten, sodass man unbesorgt hindurchwandern kann.

Anschließend ging es zu weiteren, kleineren Tempeln, die jeweils auf ihre Weise beeindruckend und individuell gestaltet waren, sowie zum „Victory Gate“, wo riesige steinerne Gesichter über einem Tor aufragen. Besonders faszinierend fand ich, dass die Gesichter nicht aus einem einzigen Stein bestehen, sondern aus vielen einzelnen Steinen kunstvoll zusammengesetzt wurden. Diese Technik empfand ich als einzigartig und sehr beeindruckend.

Am Ende des Tages fuhren wir zur Rückseite von Angkor Wat, wo nur wenige Touristen unterwegs waren. Hier konnten wir die Anlage in Ruhe genießen und haben entsprechend schöne Bilder von uns gemacht.

Mr. Kun empfing uns an seinem TukTuk mit eiskalten Menthol-Handtüchern, die uns in der brennenden Sonne wunderbar abkühlten. In der morgendlichen Hektik hatten wir leider unsere Caps vergessen, was sich bei mir zuerst bemerkbar machte: Ich bekam stechende Kopfschmerzen und mir wurde schwindelig – die ersten Anzeichen eines Hitzschlags. Mr. Kun reichte uns gekühltes Wasser und Cola, um unseren Kreislauf wieder in Schwung zu bringen.

Als wir mittags ins Hotel zurückkamen, fiel ich erschöpft ins Bett und erholte mich bei heruntergekühlter Klimaanlage von der Hitze. Kurz darauf zeigten sich auch bei Sascha die Symptome eines beginnenden Hitzschlags. Zum Glück hatten wir den Nachmittag frei, um uns auszuruhen, und die nächste Tour startete erst am nächsten Morgen um 8 Uhr. 😊

Am späten Nachmittag erkundeten wir die Stadt Siem Reap und stromerten über den kunsthandwerklichen Nachtmarkt. Zahlreiche Künstler boten dort ihre Werke an – von handgemalten Bildern über Schmuck bis hin zu filigranem Werkzeug. Wir entdeckten vieles, das uns gefiel, und überlegten hin und her, was wir wohl in unserem ohnehin schon überladenen Handgepäck noch unterbringen könnten. (Spoiler: Wir sind schon über die erlaubten 7 kg hinaus. 😅) Letztendlich entschieden wir, uns ein paar Läden zu merken, da wir noch zwei weitere Tage in Siem Reap hatten und in Ruhe überlegen konnten, was wir wirklich kaufen wollten.

Am zweiten Tag wurden wir wieder früh morgens von Mr. Kun herzlich in seinem TukTuk empfangen. Heute stand der sogenannte „Grand Circle“ auf dem Programm, der uns zu weniger bekannten, aber nicht minder beeindruckenden Tempeln von Angkor führte. Da die meisten Touristen nur einen Tag in Angkor verbringen und sich auf den „Inner Circle“ beschränken, waren wir oft fast allein unterwegs. Am ersten Tempel trafen wir beispielsweise nur auf zwei weitere Menschen. Wir erklommen die 30 Meter hohen, steilen Steinstufen und bewunderten im Inneren eine Götter-Statue.

Wie ihr vielleicht aus unserem letzten Blogpost über Tuol Sleng erinnert, wurde die Religion während der Schreckensherrschaft der Roten Khmer verboten. Das hatte fatale Auswirkungen auf die Tempelanlagen von Angkor. Viele Götterstatuen wurden damals geköpft, und die meisten der abgetrennten Köpfe sind entweder verschwunden oder so stark beschädigt, dass sie nicht mehr restauriert werden konnten. Mr. Kun erklärte uns außerdem, dass auch heute noch Räuber versuchen, Teile der wertvollen Götterstatuen zu stehlen und illegal zu verkaufen. Um diese Kulturgüter zu schützen, stehen die erhaltenen Köpfe mittlerweile in Museen, während die Brücken und Tempel mit Nachbildungen ausgestattet wurden.

Die Roten Khmer nutzten die Tempelanlagen außerdem als Waffenlager und Schießübungsplätze. Das ist bis heute sichtbar: Überall in den Tempeln entdeckten wir Einschusslöcher und Schäden.

Besonders auffällig sind die fehlenden Köpfe der Figuren auf den Brücken von Angkor. Diese stellen Götter und Dämonen dar, die in der Khmer-Mythologie eine wichtige Rolle spielen. Die Figuren ziehen gemeinsam an der mythischen Schlange Vasuki, um den Milchozean aufzuwühlen. Jede Seite der Brücke repräsentiert dabei eine der beiden Kräfte.

Ein zentrales Symbol der Khmer-Mythologie, das uns immer wieder begegnete, ist die Naga – die mehrköpfige Schlange. In der Khmer-Legende ist die Naga von besonderer Bedeutung, da das Volk der Khmer laut Überlieferung von einer Naga-Prinzessin und einem indischen Brahmanenprinzen abstammt. Die Naga symbolisiert nicht nur die Ursprünge der Khmer, sondern steht auch für Schutz, Übergang und Harmonie zwischen Himmel, Erde und Unterwelt.

Besonders beeindruckend fanden wir die Brücken mit ihren Naga-Geländern. Sie sind nicht nur praktische Bauwerke, sondern stellen auch eine spirituelle Verbindung zwischen der Welt der Menschen und der Götter dar. Häufig wird eine siebenköpfige Naga dargestellt, die diese Harmonie perfekt verkörpert. Die Schlange steht außerdem für Wasser und Fruchtbarkeit, was in einem landwirtschaftlich geprägten Land wie Kambodscha von großer Bedeutung ist.

Leider sind auch viele Naga-Figuren stark beschädigt, und ihre Köpfe fehlen häufig – ein trauriges Zeugnis der Zerstörungen durch die Roten Khmer. Dennoch bleibt die Naga ein allgegenwärtiges Symbol in Angkor, das uns immer wieder in den Bann zog.

Am Ende unserer Tour baten wir Mr. Kun, uns ein letztes Mal nach Angkor Wat zu bringen. Bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel wollten wir die Tempelanlage noch einmal in ihrer vollen Pracht erleben. Das erwies sich als genau die richtige Entscheidung: Während wir die Anlage am Vortag eher in tristem Grau gesehen hatten, leuchtete uns nun ein sattes Grün entgegen, und wir konnten den beeindruckenden Anblick des Bauwerks in vollen Zügen genießen.

Zum Abschluss bot uns eine Fotografin an, professionelle Bilder von uns vor Angkor Wat zu machen. In etwa 30 Minuten hatten wir ein kleines Fotoshooting, und für nur 10 $ erhielten wir knapp 30 wunderschöne Bilder. Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen, und wir sind überglücklich, solche tollen Erinnerungsfotos von unserem Aufenthalt zu haben.

Danach brachte uns Mr. Kun zurück zu unserem Hotel. Wir verabschiedeten uns herzlich von ihm – er hatte uns in den letzten Tagen nicht nur sicher durch die riesige Tempelanlage gefahren, sondern auch viele wertvolle Einblicke gegeben. Solltet ihr jemals nach Siem Reap reisen und einen TukTuk-Fahrer benötigen, können wir euch Mr. Kun nur wärmstens empfehlen!

Die restlichen anderthalb Tage in Siem Reap verbrachten wir auf den Märkten der Stadt. Letztendlich kauften wir doch die Bilder, die uns so gut gefallen hatten. Den Gedanken, jemals unter die erlaubten 7 kg Handgepäck zu kommen, warfen wir kurzerhand über Bord. Außerdem war bei unserem Flug nach Vietnam ohnehin Aufgabegepäck inklusive, also machten wir uns keine weiteren Sorgen und gönnten uns von dem Weihnachtsgeld, das viele von euch überwiesen haben, ein paar schöne Erinnerungsstücke. Vielen Dank an euch alle für diese Möglichkeit! 😊

Damit verabschieden wir uns aus Kambodscha! Wir sind inzwischen in unserer zweiten Woche in Vietnam und blicken rückblickend auf eine wunderbare Zeit in Kambodscha zurück. Dieses Land hat uns landschaftlich und kulturell begeistert und war für uns ein perfekter Einstieg in Südostasien. Es hatte so viel zu bieten, dass wir es nicht missen möchten – und wir sind froh, dass wir auch den Süden des Landes erkundet haben, den viele Reisende oft auslassen.

Nach einer dreiwöchigen Reise durch dieses beeindruckende Land freuen wir uns nun auf das nächste spannende Ziel. In Vietnam erwarten uns Wiedersehen mit alten Bekannten, das Kennenlernen neuer, toller Menschen und viele unvergessliche Erlebnisse.

Ganz liebe Grüße aus Cat Ba,

Jessi und Sascha